Schwarz x Schwarz = Wild?
Wieso das keine Unmöglichkeit ist

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Artikeltyp: Fachartikel, Veröffentlicht am 10. Mär 2010 00:35 von reh
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Autor: reh
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Schwarz x Schwarz = Wild?

Ab und zu wird berichtet, das aus der Paarung zweier schwarzer Kaninchen wildfarbige fallen. Oder aus der Paarung von vermutlich reinerbig wildfarbigen Tieren mit einfarbigen nur einfarbige.
„Ganz und gar unmöglich!” „Da war sicher ein anderer Rammler im Spiel.” „Genetik lässt sich eben nicht immer berechnen.”
So etwa sind meistens die Reaktionen darauf. Ich bin aber trotzdem der Meinung nach, das Genetik reine Mathematik ist, allerdings gibt es dabei oftmals eine Reihe von Unbekannten, wie in der Mathematik auch ;-) .

Anmerkung zur Groß- und Kleinschreibung der Gensymbole
Normalerweise werden dominante Gene/Allele mit großen Buchstaben dargestellt, rezessive Gene/Allele in Gegensatz dazu mit kleinen Buchstaben. Dieses Prinzip findet sich z. B. bei Robinson und Fox auch bei den hochgestellten Buchstaben von Genserien wieder. Damit werden Allele, die dominant über den sogenannten Wildtyp (den „normalen“ Faktor) sind, deutlich als solche gekennzeichnet. Da das zum besseren Verständnis der Dominanzverhältnisse beiträgt, übernehme ich diese Art der Großschreibung sowohl für die Eisengrau-Faktoren (BEE, BE) als auch für den teildominanten Japaner-Faktor (bJ).

Wieso das keine Unmöglichkeit ist

Im Allgemeinen wird einem schwarzen Tier die Genformel ABCDg zugeschrieben. Es gibt aber eine ganze Reihe anderer Genkombinationen mit gleichem oder sehr ähnlichem Erscheinungsbild.
Um das verstehen zu können, müssen wir die Gelbreihe, die für die Ausbreitung des dunklen Pigmentes zuständig ist, ansehen. Komplette lautet sie:
BEE (Doppeleisengrau)
BE (Eisengrau)
B (normale Schwarzausbreitung)
BJ (Japaner)
b (Gelb)

Der erste Faktor wird gelegentlich mangels praktischer Bedeutung unterschlagen. Dabei stellt gerade dieser Doppeleisengraufaktor eine Form des dominanten Schwarz dar, wie es sie auch bei anderen Säugetieren gibt. Schwarz ist dabei im Sinne von Eumelanin (dunkles Pigment) gemeint, welches natürlich auch blau, braun oder fehfarbig sein kann. Dominant deshalb, weil es epistatisch über die Wildfarbigkeit ist.
Epistatisch bedeutet, dass ein Allel einer Genreihe, egal oder dominant oder rezessiv, ein Allel einer anderen Genreihe an seiner Ausprägung hindert, es also verdeckt oder überlagert.
Ein Beispiel für Epistasie ist der Albinofaktor. Er verhindert das Sichtbarwerden aller anderen Farb- und Scheckungsallele.

Aber auch der „normale“ Eisengraufaktor BE bewirkt in vielen Kombinationen ein einfarbig erscheinendes Tier.
Schaut man sich die möglichen Genkombinationen der Gelbreihe mit einem der beiden Eisengraufaktoren an, wird klar, dass das Ergebnis fast immer schwarz oder schwarz mit wenigen wildfarbigen Haaren (= wild-schwarz) ist. Die einzige andersfarbige Kombination ist BEB, welche zusammen mit dem Wildfaktor G Eisengrau ergibt, und kombiniert mit dem Lohfaktor go Schwarz mit eisengrauen Lohabzeichen. Laut Robinson haben die einzelnen Kombinationen folgendes Aussehen:
BEEBEE = schwarz
BEEBE = schwarz
BEEB = wild-schwarz
BEEbJ = schwarz
BEEb = schwarz
BEBE = wild-schwarz
BEB = eisengrau
BEbJ = wild-schwarz
BEb = wild-schwarz


Ein schwarzes Tier kann also z.B. auch eine der folgenden Genformeln haben:
ABEEBCDG, ABEbCDG, achiBCDgg, achiBEbJCDG - auch der Chinchillafaktor kann vorhanden sein, ohne den Eindruck eines ganz normalen einfarbig schwarzen Tieres zu stören.

Bild
Mit diesem Wissen im Hintergrund wird plötzlich erklärbar, wieso aus wild GG x schwarz schwarz fallen kann.
Beispiel: ABEEBEECD? (dominant Schwarz) x AbbCDGG (Gelb) = ABEEbCDG (dominant Schwarz)


Bild
Und warum umgedreht aus schwarz x schwarz wildfarbig fallen kann:
ABEbCDG (wild-Schwarz) x ABCDgg (rezessiv Schwarz) = ABbCDG (wild).
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Das ganze ist auch wissenschaftlich belegt (Fontanesi). Bei einer entsprechenden Untersuchung wurde festgestellt, dass bei verschiedenen Rassen recht gemischte Verhältnisse vorliegen, was die Wildfarbigkeit anbelangt. Ob es sich bei dem gefundenen dominanten Schwarz um BEE oder BE handelt, ist nicht bekannt, deshalb stelle ich diesen Faktor hier mit BE? dar (ich liste nur die Rassen auf, bei denen der Faktor vorkam).

Von 56 Kaliforniern (anBCDgg angenommen) waren alle BE?BE?; 15 Gg, 3 GG, der Rest gg.
Von 41 Riesenschecken schwarz/blau (ABC?gg angenommen) waren alle BE?BE?; 8 Gg, der Rest gg.
Von 7 Kleinschecken schwarz/blau (ABC?gg angenommen) waren alle BE?BE?; und 1 Gg, der Rest gg.
Von 11 Holländern schwarz/blau (ABC?gg angenommen) waren 5 BB , 3 BE?B, 3 BE?BE?; und alle gg.

Ein Rassekaninchen wird nicht zum Mix, nur weil es eine andere Genformel hat, als gemeinhin angenommen. Es ist nach wie vor schlicht und einfach schwarz. Wenn der Faktor für dominant Schwarz in der Rasse verbreitet ist (siehe Riesen-, Kleinschecken, Kalifornier), wird man das nie bemerken. Es kann nur zu wildfarbigen Tieren kommen, wenn sich eine dominant-Schwarz-Linie mit einer rezessiv-Schwarz-Linie trifft.

Ein wenig Zellbiologie

Wen die Hintergründe genauer interessieren, dem sei der Artikel Farben, Farben, Farben empfohlen. An dieser Stelle will ich nur kurz zusammenfassen:
Die Allele der Gelbserie enthalten die Bauanleitung für eine Art Schalter (Rezeptor) in der Zelle, der auf bestimmte Stoffe reagiert. Einer dieser Stoffe ist das Melanozyten stimulierenden Hormons (MSH), bei dessen Anwesenheit die Zelle dunkles Pigment bildet.
Der Wildfarbigkeitsfaktor dagegen ist für die Produktion des Agouti-Signal-Proteins (ASP) zuständig. Bei seiner Anwesenheit gibt der Schalter der Zelle das Signal zur Produktion von gelbem Pigment.
Die Allele BEE und BE haben einen kleinen Fehler im Bauplan, der den Schalter ganz oder nahezu funktionsunfähig macht. Er gibt ständig/bevorzugt das Signal für dunkles Pigment. Das ASP ist nicht/kaum in der Lage einen Schaltvorgang zu Gelb auszulösen, was dazu führt, dass die Haare trotz funktionsfähigem ASP kein gelbes Band enthalten.

Literaturhinweise

Robinson, Roy. 1958. Genetic studies of the rabbit. Bibliographia genetica ; 17,3. 's-Gravenhage: Nijhoff.
L. Fontanesi, et al. 2010. Characterization of the rabbit agouti signaling protein (ASIP) gene. Genomics
 
 

Referenz

reh. "Schwarz x Schwarz = Wild?." Online-Beitrag. 10. Mär 2010 00:35. Kaninchenwissen.
8. Jun 2023 01:15. http://www.kaninchenwissen.de/knowledge/kb_show.php?id=60.

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