Artgemäße Fütterung

Beschreibung: Für den Züchter allemal eine Betrachtung wert

Kategorie: Fütterung

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Autor: Karl Schwab, erschienen in der Kaninchenzeitung 1/2003.
Verwendung des Textes an anderer Stelle nur mit Genehmigung des Autors.


Um die Lebensweise und Bedürfnisse des Hauskaninchens besser verstehen zu können, sollte man sich ruhig einmal mit dem Wildkaninchen befassen. Die bei uns vorkommenden Wildkaninchen und damit auch die Ausgangsform all unserer Kaninchenrassen stammen ursprünglich aus Spanien. Das Kaninchen kann sich allerdings an die verschiedensten Klimaverhältnisse anpassen, daher wurde es auch sehr häufig von Seefahrern auf den unterschiedlichsten Inseln ausgesetzt, damit sie bei nachfolgenden Fahrten ihren Fleischbedarf decken konnten.

Am wohlsten fühlen sich Kaninchen jedoch auf trockenen, hügeligen, mit Baum- und Strauchwerk bestandenen Sandböden mit viel Gras- und Kräuterflächen dazwischen. Hier finden sie bekömmliche Nahrung und können ihre unterirdischen Bauten anlegen.

Der Verdauungstrakt

Bevor man sich mit der eigentlichen Fütterung befasst, muss man die anatomischen Besonderheiten in Bezug auf die Verdauung kennen lernen. Das Besondere beim Kaninchen als reinem Pflanzenfresser ist die Tatsache, dass keine Vervielfachung der Mägen stattgefunden hat wie bei den Wiederkäuern. Der Nahrungsbrei wandert vom Mund über die Speiseröhre in den Dünndarm und wird dabei mit Verdauungssäften aus verschiedenen Organen (Speicheldrüsen, Leber, Galle, Bauchspeicheldrüse) versehen. Die Anlage der Verdauungsorgane lässt sich mit der des Pferdes am ehesten vergleichen. Der überaus große Blinddarm (er hat ein größeres Fassungsvermögen als der Magen) ermöglicht es dem Kaninchen, die schwer verdauliche Pflanzenkost aufzuschließen. Im Blinddarm findet sich eine ungeheure Anzahl von Bakterien, die die Pflanzenbestandteile noch weiter aufspalten.
Man kann den Blinddarm mit einem Gärbottich gleichsetzen. Weiterhin werden im Blinddarm auch noch für das Kaninchen lebensnotwendige Vitamine (verschiedene B-Vitamine) aufgebaut, die daher nicht unmittelbar mit der Nahrung aufgenommen werden müssen. Nachdem der Nahrungsbrei den Blinddarm durchlaufen hat, wird ein Teil davon als sogenannter Blinddarmkot ausgeschieden. Diesen vitaminreichen Blinddarmkot nimmt das Kaninchen auf. Aus diesem Blinddarmkot kann dann bei der zweiten Passage durch den Dünndarm noch eine Vielzahl von Nährstoffen und Vitaminen entnommen werden. Daher ist es für das Kaninchen lebensbedrohlich, wenn es längere Zeit daran gehindert wird, diesen Kot direkt aufzunehmen.

Wegen des besonderen Baus des Verdauungstraktes muss auch die Art der Fütterung darauf Rücksicht nehmen. Der Magen des Kaninchens hat relativ wenige Muskeln, also wird der Nahrungsbrei durch die nachfolgenden Mahlzeiten weitergepresst und gelangt so in den Darm. Daher sollte das Kaninchen laufend für Nachschub sorgen können. Pro Tag nimmt das Kaninchen zwischen 30 und 80 kleine Mahlzeiten ein.

Weil der Magen des Kaninchens auch sehr sensibel auf stark schwankende Nahrungsmengen
reagiert, sollten die Fütterungszeiten eingehalten werden, damit sich das Tier nicht im ersten Heißhunger den Magen überlädt. Durch die Ernährung müssen dem Kaninchen alle chemisch-biologischen Grundstoffe zur Verfügung gestellt werden, die im Körper enthalten sind und gebraucht werden. Gewichtszuwachs, Fortpflanzung mit Trächtigkeit und Säugeperiode der Häsin sowie Spermaproduktion beim Zuchtrammler und die Wollerzeugung (sowohl beim normalen Haarwechsel, aber insbesondere beim Angorakaninchen) sind Energie zehrende Lebensvorgänge. Diesen Vorgang, den Abbau der Futtermittel und die Bereitstellung der einzelnen Baustoffe und die Ausscheidung der unverdaulichen Reststoffe bezeichnet man als Stoffwechsel.

In der freien Natur muss bzw. kann sich das Kaninchen die einzelnen Futterstoffe selbst aussuchen und seinem unterschiedlichen Bedarf gerecht werden. Wildkaninchen suchen sich ihre Nahrungspflanzen nach Möglichkeit ganz gezielt aus. Selbst im Krankheitsfall sucht sich das Kaninchen die helfenden Pflanzen verstärkt heraus. Das Stall- und Haustier kann diese Auswahl nicht treffen. Ihm bleibt nur das Futter, das ihm vorgesetzt wird. Daher muss der Tierhalter die Bedürfnisse seiner Pfleglinge kennen und die entsprechende Auswahl und Zusammenstellung treffen.

Die Nährstoffe

Je nach Größe und Alter des Kaninchens ist der Bedarf an Nährstoffen jeweils ein anderer. Besonders auffällig ist der Bedarf der säugenden Häsin. Am 21. Tag der Säugezeit (Laktation), d. h. zum Zeitpunkt des höchsten Milchangebots, ist der Bedarf bei einem großen Wurf so groß, dass die Häsin die notwendige Menge an Futter fast gar nicht aufnehmen kann. In dieser Zeit muss der Züchter der Häsin das beste und hochwertigste Futter zur Verfügung stellen. Außerdem sollte es besonders schmackhaft sein, damit die Häsin zur verstärkten Futteraufnahme veranlasst wird.

Die Trockensubstanz jedes tierischen Körpers besteht zu 60 bis 80% aus Eiweiß. Allein aus dieser Tatsache lässt sich ableiten, dass die Versorgung mit Eiweißen (Proteinen) sehr wichtig ist, insbesondere bei tragenden und säugenden Häsinnen und heranwachsenden Jungtieren. Das Eiweiß ist lebenswichtig zur Bildung von Fleisch, Blut, Lymphe und Verdauungssäften. Auch für die Fellbildung im Haarwechsel ist ein erhöhter Eiweißbedarf vorhanden. Eine Faustzahl für den Bedarf an Eiweiß: 2 bis 3 g pro kg Lebendgewicht und Tag als verdauliches Rohprotein.

Kohlenhydrate stellen mengenmäßig den größten Anteil der organischen Substanz. Sie dienen hauptsächlich als Energiequelle und teilweise auch als Reservestoffe. Der Bedarf ist sehr stark von der Außentemperatur abhängig, da sie insbesondere als Energiequelle dienen. Als Richtwert wird ein Bedarf von 22 g je kg Körpermasse und Tag angegeben. Hauptquelle für die Kohlenhydrate sind die verschiedenen Zuckerarten, die in den Pflanzen vorkommen. Genauso wie beim Menschen schaffen sie aber auch die Fettpolster bei Überangebot.

Die Fette sind den Kohlenhydraten zur Erzeugung von Energie in etwa gleichwertig. Allerdings kommen sie in grünen Pflanzen und somit auch im Heu kaum vor. In den Samenkörnern sind Fette dagegen recht häufig und z. T. auch hoch konzentriert, insbesondere in den Ölfrüchten sowie auch in Mais und Haferkörnern. Für die Ausbildung eines hochwertigen und glänzenden Felles ist Fett sehr günstig. Manche Züchter verfüttern daher z. B. Sonnenblumenkerne.

Mit Fett kann die Energieversorgung der Tiere wesentlich verbessert werden, ohne dass die Futterration in der Menge steigt. Fett besitzt etwa die 2- bis 3-fache Energiemenge von Kohlenhydraten. Allerdings bin ich gegen die Zugabe von tierischen Fetten in den Futtermischungen. Gerade die letzten Jahre haben gezeigt, dass bei der industriellen Futtermittelherstellung Unregelmäßigkeiten vorkommen können.

Fett spielt nicht nur als energiereiches Futter eine Rolle. Es wird auch vom Tierkörper selbst produziert. Bei ausreichenden Futtergaben kann es vom Kaninchenkörper auch aus Stärke aufgebaut werden. Neben der Depotfunktion (als Nährstoffreserve) dient es auch der Wärmeisolierung und als mechanischer Schutz empfindlicher Organe. Auch die fettlöslichen Vitamine werden in den Fettpolstern gespeichert. Nicht vergessen werden sollte, dass die Aromastoffe des Fleisches überwiegend im Fett (wichtig beim Braten) gespeichert sind.

Rohfasern und Mineralstoffe

Rohfaser (Zellulose), der Baustein pflanzlicher Zellwände, ist wichtig für die Regulation und den Ablauf der Verdauung. In Fütterungsversuchen hat sich gezeigt, dass der optimale Rohfasergehalt zwischen 13 und 16% liegt. Kommt der Wert jedoch unter 10%, so ist mit Verdauungsstörungen zu rechnen. Haarfressen z.B. ist ein Hinweis darauf, dass zu wenig Rohfaser in der Futterration vorhanden ist. Heu und gutes Stroh sind die idealen Futtermittel, um den Rohfaserbedarf der Kaninchen abzudecken. Das entspricht auch dem relativ trockenen Futter der Wildkaninchen und kann Fütterungsfehler etwas ausgleichen. Eine alte Züchterweisheit sagt: „Heu ist das Brot der Kaninchen." Es sollte immer im Stall zur freien Aufnahme zur Verfügung stehen und zwar möglichst in der Raufe, damit es nicht verschmutzt.

Mineral Stoffe, also die anorganischen Bestandteile der Pflanzen wie Kalzium, Phosphor oder Natrium, sind in der Trockensubstanz des Kaninchenkörpers zwischen 2,5 und 5% vertreten. Den überwiegenden Anteil bildet das Skelett, das in der Wachstumsphase innerhalb weniger Wochen aufgebaut wird. Daher müssen besonders in dieser Zeit die Häsin und Jungtiere mit Kalkverbindungen versorgt werden.

Bei einer reichhaltigen und abwechslungsreichen Pflanzenkost kann davon ausgegangen werden, dass die Tiere ausreichend mit Mineralstoffen versorgt werden. Das gilt in jedem Fall in Gegenden mit reichlich Kalk im Boden oder bei ausreichender Kalkversorgung des Bodens. Was häufiger fehlt ist das Natrium. Das kann, wie in der Rinder- und Pferdehaltung, mit Salz ausgeglichen werden. Die Zugabe von Futtersalz wirkt zudem noch appetitanregend. Eine Gabe von einem Teelöffel auf 10 l Wasser ist ausreichend. Durch die Zufütterung von Fertigfutter, wie es ja die meisten Züchter vornehmen, ist die ausreichende Gabe von Mineral-Stoffen in der Regel gesichert.

Spurenelemente sind Mineralstoffe, die nur in winzigen Mengen erforderlich sind. Dabei handelt es sich z.B. um Eisen, Kupfer, Zink, Fluor, Mangan, Kobalt, Selen und Jod. In unseren mitteleuropäischen Breitengraden sind die Böden ausreichend mit diesen Stoffen versehen, sodass bei vielseitiger Grünfütterung die Tiere ausreichend mit diesen Stoffen versorgt werden. Besonders Wiesen- und Kleeheu sind reich an Mineralstoffen und Spurenelementen.

Die Vitamine

Vitamine werden zwar nur in winzigen Mengen im Tierkörper benötigt, sind aber lebensnotwendig. Ohne sie sind Wachstum, gesundes Leben und auch Fortpflanzung nicht möglich. Über Vitamine könnte man stundenlang diskutieren. Es ist jedoch nicht nötig, da unsere Kaninchen bei ausgewogener Fütterung, insbesondere mit viel Grünfutter, ausreichend mit allen Vitaminen versorgt werden.

Das Vitamin A wird in der höchsten Dosis benötigt, kommt aber auch in fast allen Pflanzen vor. Die Vorstufe von Vitamin A ist das allen bekannte Karotin. Von Nachteil ist, dass dieses Karotin nicht sehr gut lagerfähig ist. Bei getrockneten Pflanzen, also auch Heu, geht bereits bei der Trocknung 50% des Karotins verloren. Bei Lagergemüse, z.B. Karotten, ist gegen Ende der Lagerung auch der meiste Teil des Karotins abgebaut.

Die meisten Vitamine aus der B-Gruppe werden, wie bereits erwähnt, vom Kaninchen selbst im Blinddarm produziert und dann mit dem Weichkot (Blinddarmkot) aufgenommen. Auch das für uns Menschen so wichtige Vitamin C muss dem Kaninchen nicht zugefüttert werden. Es wird ebenfalls über den Stoffwechsel synthetisiert.

Vitamin D regelt den Kalkstoffwechsel. Bei Vitamin D sind bei Überversorgung als einzigem Vitamin Störungen (Verkalkung der Nierenkanäle) aufgetreten, insbesondere bei Angorakaninchen. Andererseits wurde ein höherer Bedarf an Vitamin B bei Rexkaninchen festgestellt. Für die Produktion von Vitamin D ist das Kaninchen auf die Bestrahlung mit UV-Licht angewiesen. Daher kann es in Innenställen, insbesondere im Winter, zu rachitischen Veränderungen bei den Jungtieren kommen.

Vitamin E kommt in fast allen Pflanzen vor, insbesondere in Getreidekeimlingen. Bei Grünfütterung kann kein Mangel auftreten. Das Vitamin E wird zu Recht als „Fruchtbarkeitsvitamin" bezeichnet. Bei Leberkokzidiose wurde ein erhöhter Bedarf festgestellt.

Lebenswichtiges Wasser

Noch ein paar Worte zur Wasserversorgung. Entgegen der landläufigen Meinung, bei Grünfuttergaben brauche das Kaninchen kein zusätzliches Wasser, ist die Versorgung des Kaninchens mit Wasser sehr wichtig. Der Bedarf ist natürlich je nach Art der Fütterung sehr unterschiedlich, doch ist die Bereitstellung von Wasser unerlässlich. Insbesondere im Sommer und während der Trächtigkeit ist auf ausreichende Wasserversorgung zu achten. Während der Säugeperiode ist der Bedarf der Häsin ausgesprochen groß und kann bei großen Würfen und Trockenfutter auf bis zu 2,5 l pro Tag ansteigen.

Wichtig ist aber auch, dass das Wasser immer frisch ist. Die Zugabe von einem Esslöffel Obstessig auf 10 l Wasser verhindert ein schnelles Veralgen und fördert auch die Fresslust der Kaninchen.

Geschmackssache

Jeder, der mehrere Kaninchen hält, wird sehr bald feststellen, dass sie alle individuell verschieden sind, auch bei der Futteraufnahme. Immer wieder gibt es Fälle, in denen ein Kaninchen ein ganz bestimmtes Futter nicht frisst. Vor einigen Jahren hatte ich z. B. ein Kaninchen, das lieber den Hungertod gestorben wäre, bevor es gekochte Kartoffeln gefressen hätte. Von anderen habe ich schon gehört, dass ihre Kaninchen keine Karotten fressen würden.

Andererseits fressen Kaninchen Pflanzen und Früchte, die man in keiner Futtermittelaufstellung findet: Bananen, Pfirsiche, Nektarinen, Kiwis (nicht viel und auch nicht alle sehr gern), fast alle Küchenkräuter. Man sollte sich auch nicht unbedingt von seinem eigenen Geschmack leiten lassen. So fressen meine Kaninchen mit Vorliebe Zuckerhut und Radicchio. Und zwar roh, nicht handwarm gewaschen, um einen großen Anteil der Bitterstoffe herauszuspülen.

Schlussbetrachtung

Auch wenn es nach den vorhergehenden Aussagen vielleicht so aussieht: Die Fütterung von Kaninchen ist nicht kompliziert. Einige Punkte sollte man dennoch beachten, daher legte ich auch weniger Wert auf die Inhaltsstoffe der einzelnen Futtermittel, sondern mehr auf die Gesamtzusammenhänge der Verdauung und Fütterung.

„ Das Auge des Herrn füttert das Vieh", ist schon eine alte Weisheit. Um das praktizieren zu können, muss man die Abläufe der Futterverwertung und auch seine Tiere kennen. Es sollte für den Züchter zur Übung werden, seine Tiere selbst, den Kot und auch die Fresslust genau zu beobachten.
Karl Schwab