Gedanken zur positiven Wirkung des Lignins

Beschreibung: von Hermann Schnitt

Kategorie: Fütterung

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In der Kaninchenzeitung 18/2004 ist der interessante Beitrag „Rohfaser ade?“ von Dr. Heinrich Kleine Klausing veröffentlicht. Darin wird über den positiven Einfluss von bestimmten Faserfraktionen auf die Verdauung und Gesunderhaltung heranwachsender Kaninchen berichtet. Hervorgehoben wird dabei die günstige Wirkung von Lignocellulose und Lignin. In der Arbeit findet man neben Lignin und Cellulose auch Begriffe wie Hemicellulose und Pektine als Bestandteile der Pflanzen. In diesem Beitrag wird die positive Wirkung des Lignins aufgrund von Untersuchungsergebnissen dargestellt. Deshalb möchte ich vor allem diesen Stoff behandeln. Eine Hypothese, die diese positive Wirkung des Lignins erklären könnte, wurde nicht entwickelt. Aber jede Wirkung muss auch eine Ursache haben. Die Verknüpfung mir bekannter und angelesener Fakten führte zu Denkanstößen, aus denen eine Hypothese zur positiven Wirkung des Lignins abgeleitet wurde, die aber, nur um dies ausdrücklich zu betonen, rein spekulativer Natur ist.
Um mich verständlich zu machen, sind die Erklärungen und Ableitungen sehr grob gestrickt. Es geht mir nur darum, Zusammenhänge verständlich zu machen, mit denen man sich vielleicht vorher noch nicht beschäftigte.
Die Funktion des Lignins beim Pflanzenwachstum war mir zwar bekannt, aber darauf ließ sich keine Hypothese zur Wirkung des Lignins bei der Kaninchenfütterung ableiten. Deshalb wurden Informationen aus dem Internet eingeholt. Viele der folgenden Fakten sind angelesen und wurden aufgrund von Vorkenntnissen in meine Überlegungen einbezogen.

Wenn im Frühjahr das Wachstum beginnt, produzieren Pflanzen zuerst nur Zucker. Deshalb wird in Kanada der erste Saft von Ahornbäumen aufgefangen und daraus Sirup hergestellt.
Zucker ist ein Molekül mit 6 Kohlenstoffatomen. C ist das chemische Symbol für Kohlenstoff. Mit dem einsetzenden Wachstum verbinden sich die einzelnen Zuckermoleküle miteinander und bilden lange Ketten, etwa so, wie durch das Zusammenfügen einzelner Glieder eine lange Kette entsteht. Diesen Vorgang bezeichnet man als Polymerisation, das Produkt sind Polymere. Die einzelnen Moleküle aus denen Polymere entstehen bezeichnet man als Monomere. Auf diese Art entsteht aus wasserlöslichem Zucker schwerlösliche Stärke und wasserunlösliche Cellulose, aus der die Zellwände aufgebaut sind.
An den Zuckermolekülen können durch enzymatische Vorgänge Veränderungen auftreten. Wenn diese veränderten Zuckermoleküle polymerisieren, entstehen Hemicellulose und Pektine. Diese, sowie Stärke und Cellulose, haben einen ähnlichen strukturellen Aufbau. So wie sich einzelne Moleküle zu Polymeren aufbauen lassen, können Polymere wieder rückwärts durch chemische oder enzymatische Prozesse zu Monomeren abgebaut werden. Auf diese Art bildet sich aus Stärke und Cellulose im Darm der Kaninchen wieder Zucker, der dann zur Energiegewinnung verbrannt oder zum Aufbau von Fetten verwendet wird, und der sonst keine biologische Wirkung entfaltet. Unverdaute Cellulose hat ebenfalls keine biologische, sondern nur eine diätische Funktion und wird ausgeschieden. Genauso verhält es sich mit Hemicellulose und Pektinen. Von diesen Stoffen hat Cellulose den geringsten Nährwert, denn die Darmflora kann nur 15 – 18 % der Cellulose verwerten.

Völlig anders verhält es sich mit dem Lignin. Wenn sich bei einem 6-C-Molekül das 1. mit dem 6. C-Atom desselben Moleküls verbindet, es sich also sozusagen in den Schwanz beißt, entsteht ein Ring mit 6 C-Atomen, diesen nennt man Benzolring. Eine kleine Veränderung an diesem Ring führt zu Phenolen. Beim Lignin verbinden sich diese Phenole mit Hilfe einer kleinen Seitenkette zu sehr großen stark verzweigten Molekülen. Lignin besteht also nicht wie Cellulose aus langen geraden Ketten, sondern aus komplex zusammengesetzten sehr großen und räumlich verzweigten Molekülen, die aus Phenoleinheiten zusammengefügt sind und deren Struktur in den letzten Feinheiten noch nicht geklärt ist. Diese großen strukturellen Unterschiede von Cellulose und Lignin beruhen auf den funktionellen Unterschieden beider Stoffe beim Pflanzenwachstum.
Mit fortschreitendem Wachstum wird Lignin zwischen den Zellwänden eingelagert und verklebt diese. Dieser Vorgang verleiht den Stängeln von Kräutern und Gräsern sowie dem Holz ihre Festigkeit und Stabilität. Lignin kommt im Holz zu etwa 30 % vor und ist mit eines der am häufigsten vorkommenden Naturstoffe.
Wie bereits erwähnt, bildet sich beim Abbau von Stärke und Cellulose ausschließlich Zucker. Dagegen führt der Abbau des Lignins im Organismus zu keinem einheitlichen Endprodukt. „Die große Menge der im Pflanzenfresserharn vorkommenden Benzolderivaten (Verbindungen, die sich vom Benzol ableiten, z.B. Phenole. H.Sch.) ist wahrscheinlich auf das verfütterte Lignin zurückzuführen.“ aus „Lehrbuch der physiologischen Chemie“ von F. Leuthardt.

Phenolabkömmlinge sind eine weit verbreitete teilweise bioaktive Verbindungsklasse, von denen ich einige nennen möchte. Das einfachste Phenol bezeichnete man früher als Carbolsäure und hat keimtötende Wirkung. Es war eines der ersten Desinfektionsmittel. Salicylsäure wurde früher aus Weidenrinde gewonnen und kommt auch im Spierstrauch (Mädesüß) vor. Salicylsäure hat entzündungshemmende Eigenschaften und verhindert Schimmelbildung. Als Konservierungsmittel ist Salicylsäure nicht mehr zugelassen. Aspirin leitet sich von Salicylsäure ab und entfaltet unterschiedliche biologische Wirkungen.
Ich kannte einen Züchter, der seinen Kaninchen das ganze Jahr Weidenzweige vorlegte. Schafe schälen die Rinde von Weidenzweigen ab und fressen sie. Wenn Rassekaninchen, genau wie Wildkaninchen, das ganze Jahr dünne Zweige und Rinde fressen, tun sie das nicht aus Hunger oder Langeweile, sondern möglicherweise aus einem biologisch sinnvolleren Grund. Viele Züchter haben sicher schon beobachtet, dass Kaninchen die groben Stängel von Kräutern, z.B. Brennnessel und Luzerne, besonders gerne fressen.
Ein Arzneimittel gegen Harnwegsinfektionen wird aus Bärentraubenblättern gewonnen und beinhaltet als wirksames Prinzip Phenolverbindungen. Die dunkelblauen Farbstoffe von Trauben und vieler Beerenarten sind Polyphenole, die als Antioxidantien wirken. All dies sind Beispiele für die Bioaktivität mancher Phenolverbindungen.
Es erscheint mir deshalb erlaubt die Vermutung auszusprechen, dass Phenolver-bindungen, die beim Abbau des Lignins im Kaninchendarm auftreten, verantwortlich sein könnten für die positive Wirkung auf den Kaninchenorganismus oder dass sie einen regulierenden Einfluss auf die Darmflora ausüben. Diese Überlegungen sind, wie bereits erwähnt, rein spekulativ – und das werden sie vermutlich auch bleiben. Die Isolierung und Aufklärung der Abbauprodukte des Lignins im Kaninchendarm sowie die Charakterisierung dieser Produkte und die Prüfung auf deren biologischen Wirkung dürfte wohl jedes vertretbare Maß an Zeit und Kosten übersteigen.