Milch als Nahrungsergänzung säugender Häsinnen

Beschreibung: Ergebnisse eines praktischen Versuches

Kategorie: Fütterung

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Autor und Copyright: Herman Schmitt
Verwendung des Textes an anderer Stelle nur mit Genehmigung des Autors.
Erschienen in der Kaninchenzeitung, Heft 23/2006.


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In meinem Beitrag Versuche und Beobachtungen zum Säugeverhalten von Häsinnen Teil 2 DKZ 13/2001 ist erwähnt, dass einem früh verwaisten Wurf Milch zugefüttert wurde, und diese Jungen ohne Verluste groß gezogen werden konnten. Diese Erfahrung erschien mir deshalb erwähnenswert, weil nach meiner Beobachtung Jungkaninchen unter 30 Lebenstage ohne Muttermilch meist nur unter Verlusten aufwachsen können. Milch zuzufüttern war kein spontaner Einfall, sondern hatte eine weit zurückreichende Vorgeschichte, die kurz erwähnt werden soll.
In den ersten Nachkriegsjahren hielt mein Großvater neben Geflügel auch Kaninchen und zwei Ziegen. Ich erinnere mich, dass er den Häsinnen mit Jungen täglich Ziegenmilch gab, und Jungkaninchen zusammen mit ihren Müttern Milch tranken. Ich habe dies im Laufe der Zeit hin und wieder bei Züchtergesprächen erwähnt. Es zeigte sich, dass kein Züchter seinen Kaninchen je Milch gegeben hat. Trotzdem war man der Meinung, Milch führe zu Durchfall, und es wurde gar vor einer Eiweißvergiftung gewarnt. Es drängte sich mir der Eindruck auf, dass praktisch keine Erfahrung, aber doch viel Voreingenommenheit gegenüber Milch als Nahrungsergänzung besteht. Ich selbst habe Kaninchen vorher nie Milch verabreicht. Das eingangs erwähnte Beispiel war also das erste Mal. Dieser erste Versuch mit Milchzufütterung wurde nicht nur aufgrund alter Erinnerung durchgeführt, sondern hatte einen aktuellen Anlass. Im DKZ las ich einen Züchterbeitrag über Enterocolitis. Verluste bei dieser Krankheit sollten danach vor allem nach dem Absetzen eintreten. Daraus konnte man folgern, dass möglicherweise der Entzug der Muttermilch das Immunsystem negativ beeinflusst. Obwohl ich auch die Erfahrung gemacht habe, dass Erkrankungen und Jungtierverluste nach dem Absetzen vermehrt eintreten, führte gerade dieser Beitrag zu neuen Denkanstößen. Ich stellte mir die Frage, ob nicht nur Muttermilch sondern auch Vollmilch bei jungen Kaninchen einen gewissen Schutzeffekt vor Krankheiten des Verdauungstraktes aufweist.

Aus ernährungsphysiologischen Überlegungen kann man davon ausgehen, dass Milch als Eiweißquelle einen positiven Einfluss auf den Ernährungsstatus von Jungkaninchen ausübt. Dazu einige allgemeine Ausführungen zur Ernährung aus dem Lehrbuch der Physio-logischen Chemie von F. Leuthardt.
In tierischer und menschlicher Nahrung finden sich immer drei Grundnahrungsmittel: Kohlehydrate z.B. Zucker und Stärke, Fette und Öle sowie Eiweiß, auch Protein genannt, z.B. Eier, Milch, Fleisch. Die einfachsten Bausteine der Proteine sind 20 verschiedene Aminosäuren, die chemisch miteinander verbunden sind. Die unendlich große Zahl von Eiweißstrukturen beruht auf den Kombinationsmöglichkeiten dieser 20 Aminosäuren.
Kohlehydrate und Fette können vom Organismus in Depots gespeichert, und bei Bedarf wieder abgebaut werden. Für Eiweiß gibt es im Körper kein Depot.
Da ein Teil der Eiweißkörper ständig verbraucht wird, muss eine bestimmte Menge Eiweiß immer ersetzt werden. Die Proteine können von dem tierischen Organismus nicht aus anderem Material aufgebaut werden. Die einzige verwertbare Stickstoffquelle ist wiederum Eiweiß oder, genauer gesagt, die aus dem Eiweiß durch Verdauung freigesetzte Aminosäure.

Der menschliche oder tierische Organismus kann also sein eigenes Eiweiß nur aus den Aminosäuren aufbauen, die er als pflanzliches oder tierisches Eiweiß mit der Nahrung aufnimmt. Eiweiß kann nur durch Eiweiß ersetzt werden. Im Gegensatz dazu können Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen mit Hilfe anorganischer oder einfacher organischer Stickstoffverbindungen (z.B. Harnstoff) Aminosäuren aufbauen.
Da im tierischen Protein und im Milcheiweiß alle Aminosäuren vorhanden sind, ist Fleisch bzw. Milcheiweiß ein vollwertiges Nahrungsmittel, mit dem jedes Tier seinen Bedarf an allen 20 Aminosäuren abdecken kann. Fleischfressende Tiere sind also immer optimal versorgt mit allen Aminosäuren. Das pflanzliche Eiweiß ist deshalb nicht vollwertig, weil darin nicht alle Aminosäuren enthalten sind, oder einige nur in so geringen Mengen vorkommen, dass damit der Bedarf der Pflanzenfresser nicht gedeckt werden kann. Die Aminosäuren Lysin, Methionin, Tryptophan und andere sind in pflanzlichem Eiweiß nicht in ausreichender Menge enthalten.
Man bezeichnet allgemein Verbindungen, die von einem bestimmten Organismus nicht synthetisiert werden können, aber für ihn lebensnotwendig sind, als für den betreffenden Organismus essentiell oder unentbehrlich.
Aminosäuren wie die vorgenannten, die nicht in genügender Menge in Pflanzen vorhanden sind und die vom Organismus nicht aufgebaut werden können, nennt man deshalb essentielle Aminosäuren.

Die Pflanzenfresser mussten die energie- und aminosäurearme Pflanzennahrung optimal nutzen, um das Problem einer Unterversorgung mit essentiellen Aminosäuren zu lösen. Die Vegetarier haben diese Schwierigkeiten im Laufe der Evolution mit einem immer größeren und aufwändigeren Verdauungsapparat behoben. Im Blinddarm siedelten sich Mikroorganismen (Darmflora) an, die für den Abbau der Zellulose zu Zucker sorgen, und die darüber hinaus Aminosäuren und Vitamine produzieren. Diese wichtigen Verbindungen stehen dem tierischen Organismus dann zur Verfügung. Pflanzenfresser decken einen Teil ihres Aminosäure- und Vitaminbedarfs aus den Stoffwechselprodukten ihrer Darmbakterien und dem Bakterienanteil, der verdaut wird. Die Aminosäuren, die im Blinddarm von Mikroorganismen gebildet werden und die Aminosäuren, die aus Pflanzeneiweiß aufgenommen werden, reichen aus, um ein normales Wachstum von jungen Wildkaninchen zu gewährleisten. Wie effektiv dieses System arbeitet, erkennt man auch daran, dass Wildkaninchenhäsinnen genügend Eiweiß zur Verfügung haben, um ihren Wurf zu ernähren und gleichzeitig den nächsten in ihrem Organismus heranwachsen zu lassen. Man könnte also annehmen, dass ein Zusatz von essentiellen Aminosäuren in Form von Milchprotein den Ernährungsstatus von Jungkaninchen nicht wesentlich zu verbessern vermag. Nach dem Gesetz des Minimums, ein Begriff, den Liebig beim Studium der Pflanzenernährung prägte, gilt, dass
der Ablauf jedes biologischen Vorganges durch denjenigen Faktor bestimmt (wird), der sich im Minimum befindet.
Dies bedeutet, wenn eine einzige der zwanzig Aminosäuren das Minimum unterschreitet, können die anderen vorhandenen Aminosäuren nicht mehr vom Organismus zum Aufbau körpereigenen Proteins genutzt werden. Würde man nun diese einzelne Aminosäure, die sich im Minimum befindet, dem Futter zusetzen, so könnten wieder alle übrigen zum Aufbau körpereigenen Proteins genutzt werden, und somit könnte das Wachstum wieder einsetzen. Bei Zugabe von Milchprotein sind immer alle essentiellen Aminosäuren vorhanden, sodass auch "minderwertiges" Pflanzeneiweiß verwertet werden kann.

Es lassen sich bei der Kaninchenhaltung durchaus Situationen denken, bei denen Milch als Nahrungsergänzung positive Auswirkungen haben kann. Niehaus schreibt z.B.:
Mehrere (Häsinnen mit hoher Milchleistung) – setzten dabei aus ihren Körperreserven zu und zeigten vorübergehende Gewichtsverluste.

Diese Gewichtsverluste sind darauf zurückzuführen, dass die Häsinnen mit ihrer Milch dem Körper mehr Eiweiß entziehen, als mit der Nahrung aufgenommen und von der Darmflora produziert werden kann. Der Gewichtsverlust wird natürlich mit nachlassender Milchproduktion wieder ausgeglichen. Man kann sich vorstellen, dass in solchen Fällen Milchgaben dem Gewichtsverlust bei säugenden Häsinnen entgegen wirken können.
Da nach dem Absetzen von Jungkaninchen nicht selten Erkrankungen des Verdauungsapparates auftreten, kann man vermuten, dass die Muttermilch einen gewissen Schutz vor diesen Erkrankungen bietet. Wie schon eingangs erwähnt wäre zu überprüfen, ob auch Vollmilch diesen Schutz gewährt.
Jeder Kaninchenzüchter weiß, Jungkaninchen, die von einer Darmkrankheit befallen sind, magern sehr stark ab. Die Tiere, die nicht sterben, erholen sich meist nur sehr langsam. Das Abmagern erkrankter Tiere ist natürlich auf die reduzierte Nahrungsaufnahme zurückzuführen. Es lassen sich aber Zusammenhänge vorstellen, die die langsame Gewichtszunahme während der Genesungsphase erklären könnten. Die verschiedenen Parasiten greifen Leber und Darmschleimhaut an. Dadurch kann der Übergang von Nahrungsstoffen, also auch von Aminosäuren, ins Blut gestört sein. Darüber hinaus ist wahrscheinlich nicht bekannt, ob und in welcher Weise die Darmparasiten die Darmflora schädigen, so das möglicherweise dem Organismus nicht die wertvollen Stoffwechselprodukte einer gesunden Darmflora zur Verfügung stehen. Milcheiweiß könnte auch hier einen positiven Effekt auf den Ernährungszustand und die Gewichtszunahme genesender Jungkaninchen ausüben.

Ganz ohne Frage sind diese Überlegungen spekulativ. Aber auch die wildesten Spekulationen schaden nicht, wenn sie testbar sind, und wenn man sie über Bord wirft, sobald die Ergebnisse nicht mit den Voraussagen übereinstimmen.

Die vorgenannten Überlegungen führten zu vier Fragen, zu denen ich orientierende Tests durchführte.
  • Nehmen Jungkaninchen nach dem Absetzen bei Milchzufütterung schneller zu als bei herkömmlicher Fütterung?
  • Ist dabei die Anzahl erkrankter oder verstorbener Tiere in der Gruppe "mit Milch" kleiner als in der Kontrollgruppe "ohne Milch" ?
  • Nehmen genesende Kaninchen mit Milch als Nahrungsergänzung schneller zu, als Tiere der Kontrollgruppe, die keine Milch bekommen?
  • Kann Milch dem Substanzverlust säugender Häsinnen entgegenwirken?
Bei den Versuchen, die ersten drei Fragen zu beantworten zeigte sich sehr bald, dass diese Untersuchungen mit vielen unbekannten und variablen Faktoren behaftet waren. Nur eine große Zahl von untersuchten Tieren kann die Wirkung der nicht zu beeinflussenden Parameter vermindern, und kann zu aussagefähigen Ergebnissen führen. Dies ist unter den Bedingungen der Rassekaninchenzucht nur innerhalb eines großen Zeitraumes zu erreichen. Trotzdem möchte ich zwei Versuche anführen.

Einfluss auf das Wachstum von abgesetzten Jungtieren

Zwei Würfe mit je 6 Jungkaninchen wurden nach dem Absetzen im Alter von 6 Wochen mit Pellets und Heu gefüttert. Jeder Wurf wurde in zwei Gruppen zu je 3 Jungkaninchen geteilt. Die eine Hälfte bekam Milch (ohne Wasser), die andere Hälfte erhielt nur Wasser. Der Gewichtsverlauf wurde kontrolliert.
Dass in der ohne-Milch-Gruppe 3 Jungtiere verstarben, in der mit-Milch-Gruppe nur eines, kann natürlich Zufall sein.
Diese Ergebnisse lassen keine Aussage zu. Wie es scheint, hat Milch keinen positiven Einfluss auf das Wachstum gesunder Jungkaninchen.

Hat Milch einen Einfluss auf genesende Jungtiere?

In einem Wurf von neun Deutsche Kleinwidder bekamen 4 Jungtiere aufgeblähte Bäuche im Alter von 14 Wochen. Diese Tiere fingen allerdings nach einigen Tagen wieder an zu fressen. Zu diesem Zeitpunkt wurden sie in zwei Gruppen zu je 2 Tieren geteilt. Gefüttert wurden Pellets und Heu, die eine Gruppe bekam Milch und die andere Wasser.
Dieses Ergebnis zeigt, dass Milch auch keine erhöhte Gewichtszunahme bei genesenden Jungkaninchen bewirkt. Jedoch spielen bei solchen Versuchen unbekannte Parameter eine große Rolle. Einige dieser variablen Faktoren seien kurz erwähnt. Bei erkrankten Kaninchen ist nicht bekannt, welche Erreger die Krankheit verursachen, und in welchem Maße Darm oder Leber geschädigt sind. Weiterhin lässt sich nicht feststellen, welche Menge Milch die einzelnen Individuen aufnehmen. Die Menge der Milch ist in gleicher Weise unterschiedlich, wie die aufgenommene Nahrung. Nur eine gleiche Menge Milch bei allen Tieren lässt eine Aussage über deren Wirkung zu. Die Auswirkungen dieser Unsicherheitsfaktoren lassen sich nur dann beurteilen, wenn die Untersuchungen an einer großen Zahl von Individuen durchgeführt werden. Unter den Verhältnissen der Rassekaninchenzucht nimmt dies sehr viel Zeit in Anspruch.


Einfluss auf den Substanzverlust der Häsinnen

Die Frage, ob Milch dem Substanzverlust säugender Häsinnen entgegenwirken kann, wurde intensiver bearbeitet und führte letztlich zu Erkenntnissen, die ich nicht vorausgesehen habe. Zuerst wurde untersucht, in welchem Maße säugende Häsinnen bei herkömmlicher Fütterung mit Pellets, Heu, Brötchen und Wasser ihr Gewicht beim Säugen eines Wurfes verändern. Zur Untersuchung kamen 6 Kreuzungshäsinnen mit einem Gewicht von ca. 2.700 - 3.200 g. Die Häsinnen säugten 7 - 8 Junge. Da nun jede Häsin ein anderes Ausgangsgewicht hatte, war ein fortlaufender Gewichtsvergleich wenig aussagekräftig. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Gewichte der täglichen Wägungen sehr stark schwankten. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurde folgende Verfahrensweise gewählt. Die Häsinnen wurden nach dem Werfen täglich zur gleichen Zeit gewogen und aus der Summe der Gewichte von fünf aufeinander folgenden Tagen das Durchschnittsgewicht errechnet. Das Durchschnittsgewicht vom 1. - 5. Tag wurde zu 100 % angenommen und die Durchschnittsgewichte der folgenden 5 Tage-Wägungen in Relation zu 100 % gesetzt. Bei den Häsinnen wurden die Gewichte während der Säugeperiode bis zum 45. Tag bestimmt. Häsin 2 beendete bei einem Wurf am 41. Tag das Säugen. Eine Häsin nahm während der Säugeperiode kontinuierlich bis max. 5 % zu. Die Gewichtsverluste der übrigen Häsinnen lagen bei 2 - 12 %. Daran erkennt man, dass zwischen den einzelnen Individuen relativ große Unterschiede auftreten.

Um den Einfluss von Milch als Nahrungsergänzung zu überprüfen, wurde in einem zweiten Durchgang den 6 Häsinnen während der Säugeperiode und unter sonst gleichen Bedingungen und Jungenzahl Milch anstelle von Wasser gegeben. Die Milch wurde oft spontan oder spätestens nach 1 - 2 Tagen angenommen. Nachdem die Jungen das Nest verlassen hatten, tranken auch sie Milch. Offensichtlich tranken die Kaninchen Milch nicht nur um den Flüssigkeitsbedarf zu decken. Stellte man Milch und Wasser gleichzeitig in die Box, war am Morgen der Milchtrog leer und das Wasser noch vorhanden. Blieb Wasser über Nacht in der Box, und wurde am Morgen Milch hinzugestellt, so tranken die Kaninchen sofort Milch. Entzog man über Nacht die Flüssigkeit, ließ dann am Morgen den Durst mit Wasser stillen und bot danach Milch an, so wurde nochmals ausgiebig die Milch getrunken. Manche Häsinnen tranken in 24 Stunden 0,6 l Milch. Verdauungsprobleme wurden nie beobachtet!
Die vergleichenden Wägungen ohne Milch und mit Milch führten zu einem für mich unerwarteten Ergebnis. Den Gewichtsverlauf von 4 der 6 Häsinnen zeigt Tabelle 4. Die Prozentzahlen wurden in üblicher Weise auf- oder abgerundet.
Diese Untersuchung ergab kein einheitliches Ergebnis und zeigt die große Variationsbreite biologischer Systeme. Es stellte sich mir die Frage, ob Milchgaben überhaupt einen Effekt haben.


Einfluss auf die Milchleistung der Häsinnen

Es dauerte einige Zeit, bis mir der Gedanke kam, die Milchleistung bei säugenden Häsinnen ohne Milch und mit Milch zu vergleichen. Ein Hindernis zu diesem Gedanken war eine Bemerkung von Dr. Niehaus, Unsere Kaninchenrassen, Band I, Seite 135.
Bei Versuchen konnte die Milchleistung bei nicht entsprechend veranlagten Häsinnen weder durch besonders eiweißreiches Futter noch durch zusätzliche Vitamingaben wesentlich gesteigert werden.
In meinem Gedächtnis hatte sich der Gedanke festgesetzt: Eiweißzusatz erhöht nicht die Milchleistung.

Durchzuführen war also eine vergleichende Untersuchung mit Milch als Nahrungsergänzung und ohne Milch. Auch zu diesen Versuchen wurden wieder Kreuzungshäsinnen eingesetzt. Die Untersuchung wurde unter folgenden Bedingungen ausgeführt:
Bis 4 Tage nach der Geburt blieben die Häsinnen bei ihren Jungen. Danach wurden sie getrennt und die Häsinnen nur ein Mal am Morgen zum Säugen zugesetzt. Auf einer Haushaltswaage (Typ Stube) wurden die Häsinnen vor und nach dem Säugen gewogen. Die Wägegenauigkeit betrug +/- 5 g. Die Differenz aus beiden Wägungen wurde als produzierte Milchmenge angenommen. Den Häsinnen wurden Pellets, Brötchen und Heu gefüttert. Bei den ohne-Milch-Untersuchungen wurde Wasser gereicht, bei den mit-Milch-Untersuchungen nur Milch. Die Häsinnen säugten 7 - 8 Junge. Um diese Zahl zu erreichen, mussten den Häsinnen bei Bedarf Junge zugelegt oder Junge reduziert werden. Um dies zu ermöglichen, wurden von zusätzlich gedeckten Häsinnen Junge verwendet. Für die Untersuchung wurden nur Häsinnen eingestellt, die zuvor schon einen Wurf hatten. In der folgenden Tabelle ist die Milchleistung von zwei Häsinnen aufgeführt. Eine Häsin durchlief zwei Laktationsperioden, eine ohne Milch und die zweite mit Milch. Von der anderen Häsin sind vier Laktationsperioden abwechselnd ohne Milch und mit Milch aufgeführt.
Die Gewichtsangaben der Milchmenge sind die Summen der Milchleistung in Gramm von 5 aufeinander folgenden Tagen.
[tr][th][/th]
[th=2]Häsin 1[/th]
[th=4]Häsin 2[/th][/tr]
[tr][th]Wurf am:
Anz. Junge[/th]
[th]15.02.03
7[/th]
[th]16.06.03
8[/th]
[th]28.03.04
8[/th]
[th]27.12.03
8[/th]
[th]25.10.04
7[/th]
[th]01.07.04
7[/th][/tr]
[tr][th]Alter (Tage)[/th]
[th]ohneMilch[/th]
[th]mit Milch[/th]
[th]ohne Milch[/th]
[th]mit Milch[/th]
[th]ohne Milch[/th]
[th]mit Milch[/th][/tr]
[tr][td]5 - 9[/td]
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[td]835 g[/td]
[td=bg2]590 g[/td]
[td]780 g[/td]
[td=bg2]725 g[/td]
[td]600 g[/td][/tr]
[tr][td]10 – 14[/td]
[td=bg2]825 g[/td]
[td]1000 g[/td]
[td=bg2]665 g[/td]
[td]755 g[/td]
[td=bg2]570 g[/td]
[td]605 g[/td][/tr]
[tr][td]15 - 19[/td]
[td=bg2]770 g[/td]
[td]975 g[/td]
[td=bg2]640 g[/td]
[td]730 g[/td]
[td=bg2]805 g[/td]
[td]845 g[/td][/tr]
[tr][td]20 - 24[/td]
[td=bg2]440 g[/td]
[td]840 g[/td]
[td=bg2]465 g[/td]
[td]660 g[/td]
[td=bg2]570 g[/td]
[td]790 g[/td][/tr]
[tr][td]25 - 29[/td]
[td=bg2]505 g[/td]
[td]695 g[/td]
[td=bg2]235 g[/td]
[td]665 g[/td]
[td=bg2]435 g[/td]
[td]665 g[/td][/tr]
[tr][td]30 - 34[/td]
[td=bg2]375 g[/td]
[td]670 g[/td]
[td=bg2]260 g[/td]
[td]500 g[/td]
[td=bg2]305 g[/td]
[td]515 g[/td][/tr]
[tr][td]35 - 39[/td]
[td=bg2]415 g[/td]
[td]610 g[/td]
[td=bg2]290 g[/td]
[td]455 g[/td]
[td=bg2]205 g[/td]
[td]465 g[/td][/tr]
[tr][td]40 - 44[/td]
[td=bg2]375 g[/td]
[td]615 g[/td]
[td=bg2]270 g[/td]
[td]430 g[/td]
[td=bg2]-[/td]
[td]-[/td][/tr]
[tr][td]Summe[/td]
[td=bg2]4.390 g[/td]
[td]6.240 g[/td]
[td=bg2]3.415 g[/td]
[td]4.975 g[/td]
[td=bg2]3.615 g[/td]
[td]4.485 g[/td][/tr][/table]
Inder folgenden Tabelle sind sechs Säugeperioden einer Häsin abwechselnd ohne Milch und mit Milch aufgeführt.
[tr][th]Wurf am:
Anz. Junge[/th]
[th]24.04.03
6[/th]
[th]11.12.03
6[/th]
[th]27.02.04
7[/th]
[th]01.06.04
7[/th]
[th]19.10.04
7[/th]
[th]04.02.05
7[/th][/tr]
[tr][th]Alter (Tage)[/th]
[th]ohne Milch[/th]
[th]mit Milch[/th]
[th]ohne Milch[/th]
[th]mit Milch[/th]
[th]ohne Milch[/th]
[th]mit Milch[/th][/tr]
[tr][td]5 - 9[/td]
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[td]760 g[/td]
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[td]705 g[/td][/tr]
[tr][td]10 – 14[/td]
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[td]1000 g[/td]
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[td=bg2]670 g[/td]
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[td]975 g[/td]
[td=bg2]870 g[/td]
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[td=bg2]675 g[/td]
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[td]895 g[/td][/tr]
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Die Ergebnisse zeigen, dass Milch als Nahrungsergänzung bei allen säugenden Häsinnen zu einer Erhöhung der Milchleistung führte. Eine einzige Häsin gab im mit-Milch-Test nur 4 % mehr Milch, ihr Verhalten war unauffällig und zeigte keine Krankheitserscheinungen. In der Regel produzierten die Häsinnen im mit-Milch-Test zwischen 25 – 45 % mehr Milch als beim ohne-Milch-Test.
Dieses Ergebnis steht scheinbar im Widerspruch zu den Befunden von Dr. Niehaus. Man darf aber annehmen, dass er den Eiweißgehalt im Futter mit pflanzlichem Eiweiß erhöht hat, während meine Versuche mit höherwertigem Milcheiweiß durchgeführt wurden. Dieses Beispiel zeigt wieder, dass bei gleicher Fragestellung Experimente zu verschiedenen Aussagen führen können, wenn sie unter unterschiedlichen Versuchsbedingungen durchgeführt werden. Man muss also immer darauf achten, dass man Birnen nicht mit Äpfeln vergleicht.

Einer Häsin, die 8 Junge ernähren kann, braucht man ganz sicher keine Milch zufüttern. Bei größeren Würfen trägt Milch als Ergänzungsfutter sicher zu einem besseren Ernährungszustand der Jungen bei.
Es ist bekannt, dass Häsinnen bei der ersten Laktation weniger Milch produzieren als bei den folgenden Würfen. Deshalb wäre zu überprüfen, ob Milchgaben in diesem Fall auch die Milchleistung erhöhen.
Auch bei Häsinnen, die nicht in der Lage sind, 8 Junge mit genügend Milch zu versorgen, könnte eine zusätzliche Milchfütterung die Milchleistung erhöhen. Diese Fragen können durch weitere Untersuchungen geklärt werden.

Bei den Ergebnissen dieser Untersuchung muss man annehmen, dass die erhöhte Milchleistung auf die zugefütterte Milch zurückzuführen ist. Man kann vermuten, dass die essentiellen Aminosäuren, die sich im Milcheiweiß befinden, aber nur in geringem Maße im Pflanzeneiweiß, den Organismus befähigen, die optimale Milchleistung zu realisieren. Der gleiche Effekt ließe sich möglicherweise auch erzeugen, wenn man essentielle Aminosäuren als Reinsubstanz dem Alleinfutter beimischt, so wie man die schwefelhaltige essentielle Aminosäure Methionin dem Futter beimengt, um bei Angorakaninchen die Wollleistung zu erhöhen.