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Vor einiger Zeit wurde ich von einem Amerikaner gefragt, ob ich ihm bei der Übersetzung einer Webseite helfen kann. Auf dieser fanden sich Fotos von gelbwildfarbigen Zwergkaninchen mit roten Augen.
Ja, richtig gehört: Rote Augen bei einem Nichtalbino.

Die wenigen Texte, die ich nach und nach zu diesem Lutinokaninchen fand, sind meistens in dänisch oder norwegisch verfasst. Trotzdem habe ich inzwischen wohl so ziemlich alles gefunden, was sich zu dem Thema so finden lässt.
Zur Geschichte
Das erste gelbe Tier mit roten Augen fand der dänische Züchter Gerner Rasmussen 1985 in einem Wurf japanerfarbiger Farbenzwerge. Er sortierte es nicht aus, sondern behielt es und wiederholte die Paarung. In einem 3. Wurf hatte er wieder ein Tier mit roten Augen. Der Nachwuchs dieser beiden Tiere bildete die Grundlage einer neuen Rasse. Die Farbenzwerge in der Farbe Lutino und Shadow wurden bereits im Oktober 1988 in den Skandinavischen Standard aufgenommen.Beim Farbenschlag Lutino ist die Deckfarbe gelb bis orange. Die Unterfarbe, der Bauch und die Wildfarbigkeitsabzeichen sind cremefarbig oder weiß, die Augen rot.
Beim Farbenschlag Shadow ist die Deckfarbe cremegelb mit Anteilen von lichtem Blau. Die Unterfarbe ist von einem lichten Blau, das zur Haut zu noch heller wird. Der Bauch und die Wildfarbigkeitsabzeichen sind cremefarbig oder weiß, die Augen rot mit schwach blauer Iris.
Neue Mutationen, noch dazu welche, die "verwendbar" sind, treten ja nun nicht gerade häufig auf. Die letzten gefundenen Mutationen beim Kaninchen waren der Marderfaktor um 1924 und der Satinfaktor um 1930.
Wenn man dazu bedenkt, dass der Lutino-Faktor bereits vor über 20 Jahren erstmals beim Kaninchen festgestellt wurde, ist es um so verwunderlicher, dass er bei uns so völlig unbekannt ist.
Der Lutino-Faktor
Bei der Suche nach einen Faktor, der rote Augen bewirkt und außerdem das dunkle Pigment stark verdünnt, stößt man unweigerlich auf einen Faktor namens „red eyed dilution“. Das bedeutet „Verdünnung mit roten Augen“. Dieser Faktor ist bereits seit langem bei der Maus (dem am besten erforschten Säugetier) und anderen Nagern bekannt. Auch beim Menschen gibt es ihn. Da verursacht er eine Form des okkulokutanen Albinismus (OCA 2).Der Faktor wird allgemein mit p symbolisiert und vererbt sich autosomal rezessiv.
Silvers schreibt in The Coat Colors of Mice (Die Fellfarben der Maus) über das Allel p (übersetzt):
Die Augen von p/p Mäusen gleichen denen von Albinos. Im Gegensatz zu Albinoaugen sind p/p Augen aber nicht vollständig pigmentlos; in der Iris und der Netzhaut finden sich kleine Menge Melanin (Durham, 1908, 1911; Little, 1913) und ebenso sind wenige Melanozyten in der Aderhaut vorhanden (Markert and Silvers, 1956).
Was die Pigmentation des Haares anbelangt, wird das schwarze und braune Pigment von p/p drastisch reduziert, während die Bildung von gelbem/roten Pigment nur geringfügig beeinflusst wird.
Im Weiteren schreibt er, dass sich mit Ausnahme der Augen die gelben Varianten mit und ohne p/p sehr stark ähneln und auch wildfarbig rotäugige Tiere den orangen oder gelben Tieren oberflächlich gleichen, obgleich sie eine matte oder schiefergraue Haarbasis besitzen.
Farben mit p/p ähneln den durch Dilution (Verdünnung, dd) bewirkten Farben Blau und Feh, sind aber noch heller.

Wenn man die Lutinos betrachtet, stellt man übereinstimmend fest, dass sie wie ganz normale, gelbwildfarbige Tiere aussehen, die rote Augen haben. Ihre Erbformel lautet AbCDG lu.
Dabei kommt der Reinheit der Farbe zugute, dass der Lutino-Faktor das dunkle Pigment stark aufhellt, wodurch ein möglicher Rußanflug verschwindet.
Der Shadow (Bild rechts) sieht ganz ähnlich aus, nur ist er noch heller. Die "lichtblaue" Unterfarbe kann ich nicht wirklich finden, sie ist einfach nur sehr hell, fast weiß. Er ist wahrscheinlich die Kombination von eisengrau/rot (Be/b).
Namensgebung
Der beim Kaninchen gefundene, neue Erbfaktor erhielt die Bezeichnung Lutino, symbolisiert wird er im Moment mit u oder lu (der Buchstabe L ist international bereits belegt). Allerdings würde ich für die internationale Verwendung dringend Vorschlagen, die bei anderen Säugetieren bereits eingebürgerte Bezeichnung P bzw. p beizubehalten, da es sich offensichtlich um das gleiche Gen handelt.

Zum Vergleich eine Maus und ein Meerschweinchen (mit Blitzaugen) mit der Genformel ABCDG lu.
Im Norwegen arbeiten einige wenige Züchter an weiteren Farbvarianten. Da wäre zum einen der Versuch, ein "richtig" rotes Kaninchen mit roten Augen zu züchten, den Rubino. (Sein Name wurde aus der Vogelwelt übernommen, wo er rote Vögel mit roten Augen bezeichnet.)


Ich vermute, dass die Loh nicht nur in den Lohabzeichen gelbes Pigment haben, sondern überall, auch in den dunklen Haaren. Das könnte ein Grund für das besonder intensive Schwarz dieser Tiere sein. Da durch das neue Gen das Eumelanin sehr stark verdünnt wird, halte ich es für möglich, dass es einfach nicht mehr in der Lage ist, das gelbe Pigment zu überdecken, weshalb das Tier dann gelb wirkt.
Ob das stimmt, kann man theoretisch ganz einfach feststellen. Dazu braucht man nur den Chinchillafaktor. Praktisch wird es etwas schwieriger werden. Man nehme einen Shadow ABCDG lu und paare ihn mit einem Weißgrannen achiBCDgo Lu. Nun muss man per Geschwisterpaarung "nur" noch achi, go und lu auf einem Tier vereinen. Bei 3 Faktoren hat man eine Chance von 1 : 64.
Farben und Mäuse
dove (schwarzloh + lutino
silver (blauloh + lutino)
champagne (havannaloh + lutino)
lavender (feh + lutino)
Bei den Mäusen gibt es z. B. neben dove (red eyed dilution schwarzbasiert) die Farben silber und champagne. Das sind die Kombinationen des Lutinofaktors mit blau oder braun. Mit feh heißt das ganze dann Lavender und sieht anscheinend fast weiß aus.
Champagne finde ich nicht schlecht. So ein helles, gleichmäßiges Creme stelle ich mir ganz nett vor. Deshalb ist die Weißgrannenhäsin, die seit einigen Tagen bei mir im Stall sitzt, nicht schwarz, sondern havannafarbig (da steigen die Chancen auf ein havannachinlohlutinofarbiges Tier dann auf 1 : 64 x 4 = 256

Was genau passiert da? - pp und die Mikrobiologie
Für grundlegende Infos zum Thema Pigmentbildung siehe Farben, Farben, FarbenDer Genort p hat einen zentralen Einfluss auf die Entwicklung der Melanosomen in den farbbildenden Zellen. Mutationen dieses Gens beeinflussen die Anzahl, Größe, Form und den Inhalt der Melanosomen. P ist verantwortlich für die Bildung und Stabilisierung des Komplexes von Proteinen in den Melanosomen, einschließlich Tyrosinase, TRP1, and TRP2. In Abwesenheit eines funktionierenden p Proteins ist diedie Halbwertzeit dieser kritischen, für die Melaninbildung nötigen Enzyme dramatisch verkürzt.
In den Melanozyten von p/p-Tiere ist ein normaler oder sogar erhöhter Tyrosinase-Level vorhanden. Allerdings ist der Transport der Tyrosinase in die Melanosomen gestört. Normalerweise wird Tyrosinase nur in den membranumhüllten Melanosomen katalytisch aktiv und bildet dort voll polymerisiertes Pigment. Die Anwesenheit großer Mengen von Tyrosinase im löslichen (nichtmelanosomalen) Anteil der p-Melanozyten verringert nicht nur die Pigmentation in den Melanosomen, sondern erhöht auch die Menge des in den Zellbläschen des Zellplasmas gebildeten (und unter Umständen gelegentlich ins extrazelluläre Milieu abgegebenen) Pigments. Deshalb bleiben die Melanosomen kleiner und enthalten weniger Pigment. Diese abnormale Ablagerung stimmt nicht nur mit der verringerten sichtbaren Pigmentation in p-Gewebe überein, sondern könnte, da die Toxizität der Vorstufen bei der Melaninbildung normalerwiese auf das Innere der Melanosomen begrenzt ist, auch eine Erklärung für die fragile Natur der p-Melanozyten liefern. Tyrosinase, die nicht in die Melanosomen gelangt, wandert vermutlich zur Plasmamembran und orientiert sich wahrscheinlich mit dem zytoplasmatischen Ende nach innen, d.h., mit dem ihrem katalytischen Zentrum nach außen (zur Melanozyte). Wenn das so ist, bildet das Tyrosin in diesem Medium ein geeignetes Substrat für die Melaninproduktion, was dann wieder mit den gemachten Beobachtungen (Dunkelfärbung des Kulturmediums) übereinstimmt.
Mäusefotos, mit freundlicher Genehmigung: Timiae
Lohlutinofoto, mit freundlicher Genehmigung: Sølvi Lysfjord
Verwendete Literatur:
http://www.dvaergkanin.dk/lutino.htm ,
http://home.online.no/~geinordv ,
http://www.informatics.jax.org/wksilvers
Normal Tyrosine Transport and Abnormal Tyrosinase Routing in Pink-Eyed Dilution Melanocytes; S. Brian Potterf, Minao Furumura, Elena V. Sviderskaya,Chie Santis, Dorothy C. Bennett, and Vincent J. Hearing; EXPERIMENTAL CELL RESEARCH 244, 319-326 (1998)
The Pink-eyed Dilution Locus Controls the Biogenesis of Melanosomes and Levels of Melanosomal Proteins in the Eye, SETH J. ORLOW, and MURRAY H. BRILLIANT, Exp. Eye Res. 68, 147-154 (1999)